Im Schlafanzug ins Rathaus

19. Juli 2020 | Digitalisierung

Von den Balten lernen, wie Behördengänge digitalisiert werden können

Bei jedem meiner Besuche in Lettland bin ich immer wieder begeistert über die dortige digitale Infrastruktur. Man kann mitten im tiefsten Gauja-Nationalpark auf einem Floß sitzen und hat besten Netzempfang. Freies WLAN in den Innenstädten ist dort genauso selbstverständlich wie freies WLAN in Busverkehr und Taxi.

Perfekte Netzabdeckung – papierlose Behörden

Noch digitaler weiterentwickelt sind die benachbarten Esten, denn dort können Behördengänge aller Art schon seit Jahren bequem mit ein paar Klicks von zu Hause aus erledigt werden. Als Schlüssel zu mehr als 3000 digitalen Dienstleistungen von Behörden und Unternehmen dient die sog. „Bürgerkarte“, die gleichzeitig u.a. Ausweis, Versichertenkarte und Führerschein ist.

Testphase des „proaktiven automatisierten Staates“

Darüber hinaus testet man in Estland bereits den „proaktiven Staat“ – nicht mehr der Bürger soll die digitalen Behördengänge erledigen müssen, sondern gewisse Behördengänge sollen hier zukünftig automatisiert erfolgen. Bei einer Geburt z.B. meldet das Krankenhaus das Neugeborene direkt bei der Behörde an, die Krankenversicherung wird informiert, die Registrierung von Sozialleistungen wie Kindergeld und anderer Zuschüsse erfolgt automatisch. Die Eltern des Kindes werden im Folgenden  per Mail über ihre Ansprüche informiert und müssen nur noch einen Bestätigungsbutton drücken – fertig!

Zukunftsmusik für Deutschland

Für uns in Deutschland ist das alles noch Utopie, aber immerhin wollen Bund, Länder und Kommunen bis zum Jahr 2022 insgesamt 575 Verwaltungsleistungen vom Antrag für einen Personalausweis oder Führerschein oder Elterngeld überhaupt erst einmal nach einheitlichen Standards online anbieten.

Neuer Schwung durch die pandemische Lage

Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir mit deutlich mehr Schwung an alle Aspekte der Digitalisierung von Staat und Verwaltung herangehen müssen. Uns wurde vor Augen geführt, dass wir digitale Prozesse und Verfahren benötigen, um eine erfolgreiche Gesellschaft in Zukunft und Gegenwart zu sein. Die pandemische Lage hat insoweit sowohl in der Bevölkerung als auch in der Verwaltung zu einem Akzeptanzschub für Digitalisierung geführt, der nunmehr genutzt und in die Nachkrisenzeit überführt werden muss.

In Harsewinkel erfolgreich durch Erfahrungsaustausch

Ich will mich für Harsewinkel nicht nur auf Bund und Länder verlassen, sondern hierzu eigene Ideen entwickeln. Der Blick nach Estland zeigt: Das Rad muss nicht gänzlich neu erfunden werden – es gibt bereits gute Konzepte. Wir können auch von anderen Verwaltungen in Deutschland lernen, die sich bereits vor der Krise mit den Chancen von digitalen Werkzeugen und Leistungen befasst und entsprechende Strukturen aufgebaut hatten, die sie in der Krise nun kurzfristig einsetzen konnten, als durch den Lockdown, quasi über Nacht, Verwaltungsangestellte ins Homeoffice geschickt und viele Prozesse, Dienstleistungen und Abläufe in die digitale Welt übertragen werden mussten.